Lösungsorientierte Maltherapie - Wie Bilder Emotionen steuern

Lösungsorientierte Maltherapie - Wie Bilder Emotionen steuern

von: Bettina Egger, Jörg Merz

Hogrefe AG, 2014

ISBN: 9783456952727

Sprache: Deutsch

244 Seiten, Download: 7090 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop
Typ: A (einfacher Zugriff)

 

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Lösungsorientierte Maltherapie - Wie Bilder Emotionen steuern



Emma spürte, wie ihr Körper reagierte, den Kloß im Bauch, das Herzrasen. Sie fühlte sich bedroht, obschon von außen her keine Bedrohung sichtund spürbar wurde. Gleichzeitig wusste sie, dass sie im Moment nicht bedroht wurde. Das half ihr jedoch nicht, sie war in einem Angstkreislauf gefangen: Die Signale, die ihr Körper produzierte, machten Angst, die Angst führte zu einer Verstärkung der Körperreaktionen, was wiederum die Angst verstärkte und so weiter und so fort. Dieser Teufelskreis wird schon beim bloßen Gedanken an die ängstigende Situation ausgelöst. Emma musste daher immer weitere Bogen um die Spitalgegend fahren.

Gesehene Bilder wie das der Spitaltür werden im LOM so gemalt, wie es die Betroffenen mit ihren Augen gesehen haben. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von den in der Kunsttherapie üblichen Bildern, die darstellen, was die Malenden wissen. Gesehene Bilder sind oft Ausschnitte aus dem Gesamtbild der Umgebung des Ereignisses und Momentaufnahmen, quasi Standbilder. Da im Stress die Funktion des zweiten Weges der Erinnerung, der frontale Cortex, nicht mehr voll funktionsfähig ist, sind diese Bilder dem Bewusstsein oft nicht oder nur bruchstückhaft zugänglich. Erst durch das Malen werden sie wieder voll ins Bewusstsein gehoben und es ist typisch, dass auch vorerst nicht erinnerte Bilder, wie die Schokoladenschachtel auf dem Bett, dem Bewusstsein wieder zugänglich werden. So entsteht ein genügender Zusammenhang der Bilderreihen, dass sich das Gehirn an die Abfolge erinnert und dann auch merkt: «Es ist vorbei.» Durch das Malen der ganzen Bilderreihe wird der Ablauf des Geschehens sichtbar und das Ganze kann als schwierige Erfahrung im Gedächtnis abgelegt werden (Ehlers, 1999, S. 16).

Bewältigung von Flashbacks: Attacke mit dem Kugelschreiber

Aufgrund einer kleinen Meinungsverschiedenheit reagierte die Chefin von Antonia sehr unbeherrscht und stach sie derart mit dem Kugelschreiber in die Hand, dass sichtbare und schmerzhafte Einstiche entstanden. In Flashbacks sah Antonia diese Einstiche immer wieder vor sich, obwohl die Hand längstens verheilt war. Jedes Mal wühlte diese «handfeste» Erinnerung ihre Gefühle von Wut und Angst wieder auf, sie fühlte sich ausgeliefert und ungerecht behandelt.

«Male die Einstiche auf deiner Hand, so wie du sie gesehen hast.» (Abb. 9) Schon dieses Bild beruhigte Antonia etwas. Langsam wurden nun Stück für Stück die gezeichneten Striche des Kugelschreibers, danach die Wunden der Einstiche so lange übermalt, bis die Hand wieder heil war (Abb. 10). Antonias Flashbacks verschwanden in den folgenden Tagen.

Auf die Frage, warum Flashbacks und die damit verbundenen Emotionen verschwinden, wenn ein Bild in Ordnung gebracht wird, antwortete der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux:
Wenn ihr eine Erinnerung aufruft, dann wird diese instabil und muss erneut ins Gehirn zurückgebracht werden. Die ursprüngliche Erinnerung wurde durch eine Proteinsynthese gebildet. Wenn ihr eine Erinnerung aufruft, löst ihr eine neue Proteinsynthese aus und eine neue Erinnerung wird gespeichert. Das ist die Gelegenheit, die Erinnerung anzupassen. Jedes Mal, wenn eine Erinnerung aufgerufen wird, muss diese erneut abgespeichert werden. Und während die Erinnerung neu gespeichert wird, kann sie verändert werden. Indem ihr dafür sorgt, dass der Patient sich erinnert, gebt ihr ihm die Gelegenheit, eine neue Erinnerung abzuspeichern. Diesen Vorgang nennen wir Rekonsolidation. Es ist erstaunlich. (Aus einem Gespräch mit Joseph LeDoux, New York, 31. März 2011, übersetzt von den Autoren)

Das Gedächtnis von Antonia war demnach auf den neuesten Stand gebracht worden und stimmte nun auch mit der Realität überein.

LOM und der lösungsorientierte Therapieansatz

Lösungsorientiert heißt für uns, dass wir die ganze Aufmerksamkeit auf die zu malenden Bilder richten, die sukzessive auftauchen oder die wir mit Hilfe einer Metapher oder durch einen Auftrag zum Malen eines Portraits erzeugen. Indem wir Bild für Bild in der auftauchenden Reihenfolge abholen, geben wir dem Organismus die Möglichkeit, sich auf seine Weise zu reorganisieren.

LOM und der lösungsorientierte Therapieansatz

Klassischerweise wird ein Problem analysiert, in Teilschritte aufgeteilt und dann Schritt für Schritt einer Lösung entgegengeführt. Dieses Verfahren ist auch in der Psychotherapie, in der Beratung, in der Supervision und beim Coaching sehr verbreitet. Was aber, wenn dieses Verfahren versagt, wenn sich so keine Lösung finden lässt? Wenn der Verstand zwar über Erklärungen verfügt, diese aber die Problematik nicht verschwinden lassen? Wenn die emotionale Spannung, die das Problem erzeugt, bestehen bleibt? Damit ist ein zentraler Punkt angesprochen: Probleme, vor allem psychische Probleme, werden nicht einfach als Aufgaben betrachtet, die man erledigen oder auch verschieben kann, sondern als Belastungen, weil sie stets verbunden sind mit unangenehmen Affekten (z.B. Angst) und unangenehmen Körperreaktionen (z.B. Schweißausbrüche, Zittern, Herzklopfen etc.). Ciompi formuliert klar, dass Lösungen immer eine Wirkung auf Gefühle und Körperempfindungen haben müssen: Lösungen jeder Art sind, wie schon das Wort selbst anzeigt, eigentlich Spannungslösungen, das heißt affektenergetisch besonders sparsame Weisen, mit einem Problem umzugehen. Deshalb wirken sie ja auch so erleichternd. (Ciompi/Endert, 2011, S 21)

Wenn die Analyse des Problems, das Durchdenken und Erklären nicht helfen, dann heißt das nichts anderes, als dass die Lösung nicht direkt mit dem Problem verkoppelt ist oder wie de Shazer es formuliert: «Man muss das Problem nicht kennen, um es zu lösen» (De Shazer, 1992, S. 12), oder «Das Problem oder die Beschwerde hat mit der Lösung nicht unbedingt etwas zu tun» (ebd.), oder «Die Lösung hat mit dem Problem nicht unbedingt etwas zu tun»(ebd).

Um diesen Paradigmawechsel auf einfache Art zu illustrieren, verwenden Watzlawick et al. (1974) das Neun-Punkte-Problem: Die neun Punkte in Abb. 11 sind durch vier gerade, zusammenhängende Linien zu verbinden, das heißt, beim Ziehen der Linien darf der Bleistift nicht vom Papier abgehoben werden. (Wer die Aufgabe nicht schon kennt, dem raten wir, erst selbst zu versuchen, eine Lösung zu finden und dann die Lösung in Abb. 12 anzuschauen.)

Fast jeder, der sich zum ersten Mal an dieser Aufgabe versucht, führt als Teil seines Lösungsversuchs etwas ein, das die Lösung unmöglich macht. Es ist die unbegründete Annahme, dass die Lösung innerhalb des durch die Punkte gegebenen Quadrates gefunden werden muss – eine Bedingung, die in der Aufgabe nicht enthalten ist, sondern die sich der Problemlöser unversehens selbst auferlegt (Watzlawick et al., 1974, S. 43–46). Es ist also nötig, den Blick zu erweitern, um Lösungen zu finden.

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